Schiedsrichter in Sachsen

Titelthema „Sport Stadt Leipzig“: Rot für mangelnden Respekt

Ohne sie käme der organisierte Sport zum Stillstand: Drei Schiedsrichter aus Sachsen berichten über die Freude an ihrer Aufgabe, über Pöbeleien, Sexismus und den Kampf gegen Nachwuchssorgen.

Sein Vater nahm ihn schon als Achtjährigen als Assistenten mit zu Testspielen, mit zwölf absolvierte er seinen ersten Schiedsrichterschein – heute zählt Richard Hempel zu den vielversprechendsten sächsischen Unparteiischen. Mit 28 Jahren pfeift er bereits in der 2. Fußball-Bundesliga, als Vierter Offizieller stand er schon in der Red Bull Arena bei Spielen von RB Leipzig am Spielfeldrand. „Mich hat das von Anfang an fasziniert“, erinnert sich der in Dresden lebende Referee. Nicht das Chefsein, nicht die Machtposition – sondern dieses Entscheiden müssen. Gelb, Rot, Elfmeter – was auch immer. Als Jugendlicher 45-jährigen Vätern erklären, warum das eine gelbe Karte ist, und dazu stehen: „Das war schon irgendwie cool.“ Doch wie cool ist dieser Job heute noch für junge Menschen, wo pöbelnde Spieler, Trainer und Beschimpfungen von den Rängen vielerorts zum Alltag gehören?

Selbstbewusstsein ist wichtig

Hempel ist einer von rund 61.000 Schiedsrichtern unter dem Dach des Deutschen Fußball-Bundes – Tendenz wieder leicht steigend. In der Saison 2024/2025 leiteten sie knapp 1,4 Millionen Spiele. Laut „Lagebild Amateurfußball“ des DFB, das alle Gewalt- und Diskriminierungsvorfälle sowie Spielabbrüche erfasst, sind die Zahlen im zweiten Jahr in Folge rückläufig. Die Zahl der Spielabbrüche erreichte den niedrigsten Stand seit Ende der Corona-Pandemie. Der Verband registrierte 3.494 Partien mit einem Gewaltvorfall, darunter 829 Spielabbrüche. In 2.340 Fällen wurden Schiedsrichter als Geschädigte geführt, in 68 als Beschuldigte. Auch Richard Hempel hat schon brenzlige Situationen erlebt. Als junger Schiedsrichter folgte ihm nach einem Kreisoberliga-Spiel eine Gruppe Männer bis zum Auto, um ihn zur Rede zu stellen. Er musste erst nachdenken, bis ihm die Szene wieder einfiel. Beschimpfungen gehen heute zum einen Ohr rein, zum anderen raus. „Ich bin ziemlich resilient und kann Emotionen gut einordnen“, sagt der Sachse, der ausgebildeter Deeskalationstrainer ist. Dass er knapp zwei Meter misst und ein gesundes Selbstbewusstsein ausstrahlt, schadet dabei nicht.

Claudia Müller steht seit ihrem 17. Lebensjahr als Kampfrichterin beim Judo auf der Tatami. Heute hat die 30-Jährige vom JSV Eilenburg bei fast 300 Turnieren Kämpfe geleitet – die Zahl zeigt sie stolz in ihrem Kampfrichterpass. Damit gehört sie zu den erfahrensten Kampfrichterinnen Sachsens. Sie leitet Kämpfe bei Turnieren, Deutschen Meisterschaften oder in der Judo-Bundesliga. Vier Minuten und länger höchste Konzentration pro Duell sind gefordert, über Stunden hinweg. Ein genauer Blick auf die Landefläche nach Würfen oder gefährlichen Würgegriffen, nebenbei die Coaching-Regeln durchsetzen – all das gehört dazu.

„Man braucht ein dickes Fell“

„Möglichst unauffällig sein, nicht zu sehr eingreifen und die Einhaltung der Regeln im Blick behalten“, beschreibt Müller die Idealvorstellung ihrer Arbeit. Doch das gelingt nicht immer. Kritik an Entscheidungen gehört dazu. Die Art und Weise stimme manchmal nicht, so Müller. „Grundsätzlich ist Judo allein durch Werte wie Respekt, Höflichkeit und Bescheidenheit ein respektvoller Sport. Trotzdem braucht man ein dickes Fell.“ In ihrer Jugend seien Kampfrichterinnen oft respektlos behandelt worden. „Mädels wurden bei ihren ersten Turnieren so hart angegangen, dass sie weinen mussten“, erinnert sie sich. „Mittlerweile ist es nicht mehr ganz so schlimm.“ Noch heute kommt es vor, dass Verantwortliche ihr kumpelhaft den Arm um die Schulter legen oder sie „Mäuschen“ nennen, selbst wenn sie Hauptkampfrichterin ist. Doch in der jungen Generation wird mangelnder Respekt gegenüber Frauen und Mädchen ihrer Erfahrung nach etwas geringer. Die männlichen Kollegen sind von Sexismus kaum betroffen.

Marcus Höfer aus Crimmitschau ist einer von wenigen Unparteiischen aus Sachsen in der ersten Eishockey-Bundesliga DEL. Er pfiff schon B-Weltmeisterschaften, Nachwuchs-Europameisterschaften und Europapokalspiele. Als Linienrichter ist er für Abseits- und Icing-Entscheidungen, Bullis und den Spielfluss zuständig. Er liebt die Arbeit, das Adrenalin bei wichtigen Playoffs, die Kommunikation mit den Profis. „Ja, wir werden auch mal kritisiert. Ja, wir kriegen ab und zu einen Bierbecher ab“, sagt Höfer. „Das letzte Mal war aber vor über zehn Jahren. Mittlerweile werden solche Vorfälle hart bestraft.“ Ein wachsendes Problem sieht er im anonymen Hass auf Social Media. Höfer kennt einen Kollegen, der sogar Drohbriefe nach Hause erhielt – mit dem Hinweis, man wisse, wo seine Kinder zur Schule gehen. „Das ist immer noch ein Mensch, der Gefühle hat, eine Familie, Sorgen. Dann hat er vielleicht nicht gut gepfiffen, sitzt acht Stunden im Auto und bekommt auch noch so einen Müll geschickt.“ In den oberen Ligen gibt es abgesperrte Parkplätze und Security für die Schiedsrichter-Pkw, weil früher Autos beschädigt wurden. Schiedsrichter können sich mit einer speziellen Vollkaskoversicherung gegen Vandalismus absichern. „Zum Glück ist mir persönlich außer negativen Kommentaren im Netz noch nichts passiert“, sagt Höfer.

Hoher zeitlicher Aufwand

Er findet es schade, dass oft nicht gesehen wird, wie viel Zeit die Unparteiischen investieren. Pfeift er in Bremerhaven, fährt er früh los und kommt erst in der Nacht wieder nach Hause. Es gibt andere, die mangels Nachwuchs fünf Spiele an einem Wochenende pfeifen. Im Verhältnis zum Zeitaufwand fallen die Aufwandsentschädigungen und Kilometerpauschalen in den meisten Sportarten eher dürftig aus, selbst in den oberen Ligen. Und Nachwuchs wird überall händeringend gesucht.

"Es macht unglaublich Laune" (Marcus Höfer) Foto: Ellen Köhler

Angebote für junge Schiedsrichterinnen

Als Kampfrichter-Obfrau möchte Claudia Müller besonders junge Kampfrichterinnen stärken, die in vielen Sportarten unterrepräsentiert  sind. Mit Gesprächsangeboten und einem neuen Mentorenprogramm sollen sie unterstützt und Abbrecherquoten gesenkt werden. Im Judo ist die Quote bei Frauen und Mädchen deutlich höher als bei männlichen Kollegen. „Wir müssen darauf achten, dass es unseren jungen Nachwuchs-Kampfrichterinnen gut geht“, sagt Müller, „und dass wir als erfahrene Kampfrichter eine schützende Hand über sie halten.“

Auch Fußball-Schiedsrichter Richard Hempel bedauert die geringe Zahl weiblicher Unparteiischer. Ihr Anteil liegt im DFB bei nur 4,5 Prozent. Bei Vorträgen vor jungen Schiedsrichtergruppen sitzen oft nur zwei oder drei Mädchen unter 20 bis 30 Teilnehmenden. „Da denke ich mir schon: schade! Die Möglichkeiten sind ja für alle gleich, gerade in den unteren Klassen.“ Laut DFB ist die Zahl weiblicher Referees trotz positiver Tendenz noch zu gering, die Abbruchquote zu hoch. Vorbildlich arbeiten Landesverbände, die gezielt Maßnahmen für Schiedsrichterinnen anbieten, wie etwa Württemberg.

Richard Hempel beobachtet zumindest im Profifußball einen positiven Trend. „Ich glaube, gerade in den oberen Ligen ist der Respekt schon wieder größer geworden. Aber in den unteren Ligen ist da noch Luft nachoben.“ Geholfen hat auch die Einführung der Kapitänsregel, die nur noch die Spielführer berechtigt, mit den Unparteiischen zu diskutieren. 2023 warb der DFB mit dem „Jahr der Schiris“ für mehr Anerkennung. „Wirhaben noch lange nicht den Status, dass wir sagen können: Wir können uns zurücklehnen“, erklärt Hempel.„Das ist ein harter Kampf. Aber wir sind auf einem guten Weg.“

Der Spaß dominiert

Hempel selbst hat enorm von der Schiedsrichterei profitiert: Empathie zeigen, gut kommunizieren, authentisch sein, Selbstbewusstsein entwickeln – ohne überheblich zu werden. „Das alles hat sich durch die Spiele und Begegnungen mit vielen Charakteren entwickelt. Schiedsrichter sein hat mich fürs Leben positiv geprägt“, sagt der Sachse, dessen Ziel die erste Bundesliga ist.

Auch Claudia Müller betont, dass ihr die Arbeit als Kampfrichterin Freude bereitet, ihr Selbstbewusstsein und ihre Kommunikationsfähigkeiten stärkt. Marcus Höfer, der erfahrene DEL-Linienrichter, ergänzt stellvertretend: „Man macht das, weil es richtig Spaß macht, auf dem Eis zu stehen – nicht wegen des Geldes. Es ist anstrengend, es kostet Zeit, aber es macht auch unglaublich Laune.“